Thursday, November 24, 2005

Konzertrezension: Norland Wind im Bungertshof in Oberdollendorf am 24.11.2005

Konzertrezension: Norland Wind im Bungertshof in Oberdollendorf am 24.11.2005

„Der liebe Gott hat die Zeit erschaffen, und er hat genug davon gemacht.“ An dieses irische Sprichwort dachte ich wirklich nicht, als ich um 19.15 Uhr an der U-Bahn stand, die nächste Bahn erst um 19.36 Uhr kommen sollte, und ich beschloss das Auto zu nehmen, um rechtzeitig um 20 Uhr am Bungertshof zu sein, das Auto aber nicht ansprang, ich so die Bahn um 20.06 Uhr nehmen musste und um 20.30 Uhr am Bungersthof ankam. Aber die Musiker waren so freundlich, mit dem Konzert noch nicht angefangen zu haben. Das lag aber doch nicht an meiner Verspätung, sondern daran, dass sie von Berlin kommend zehn Stunden auf der Straße verbracht hatten, davon drei im absoluten Stau. Nun, sie mussten erst einmal das ganze elektronische Equipment aufbauen und einrichten, einige hatten zwischendurch auch noch Zeit für ein Schwätzchen, das Publikum in dem vollständig besetzen Raum, inklusive einer Hochzeitsgesellschaft, wartete geduldig, die Leute unterhielten sich, aßen und tranken, ganz im Sinne einer französischen Mittagspause, wie David Michel von Le Clou, die am 3.2.2006 im Bungertshof spielen werden, es gerne sagt, und schauten den Musikern beim Aufbau zu. Nachdem ich so eine Stunde da stand, mit Wirt und Wirtin, sowie den Duggan-Brüdern sprach, dann plötzlich Matthias Klose von Till Nine auftauchte und sagte, an ihrem Tisch ganz vorne sei noch ein Platz frei, begann dann so gegen 21.30 Uhr das Konzert, und es wundert nun eigentlich nicht, dass mir da oben zitiertes irisches Sprichwort einfiel.

Eine der besten deutschen oder – besser gesagt – in Deutschland ansässigen – da ja deutsch-irisch-norwegisch-schottisch/englisch besetzt – Irish Folk-Gruppen zu hören, nimmt man doch gerne mal etwas in Kauf, zumal ich sie noch von ihrem Konzert 2001 in der Harmonie in angenehmster Erinnerung hatte, und Kerstin Blodig zwischendurch noch in der Brotfabrik mit Kelpi und in Rudolstadt mit Malbrook gehört hatte. Und als sie da nun mit ihrer Gitarre wieder vor mir stand und ihre faszinierende Stimme erklingen ließ, neben ihr, aus Publikumsperspektive links Noel Duggan mit einer Mandoline, hinter ihm Matthias Kießling am Keyboard, rechts von Kerstin Thomas Loefke an seiner Harfe, etwas versteckt hinter ihm Pádraig Duggan mit Bongos, rechts von Thomas Máire Breathnach mit ihrer Geige und ganz rechts Colin (den Nachnamen habe ich jetzt leider nicht) an der Low Whislte, und zwar in Vertretung für Ian Melrose, der sich lieber auf einem Gitarrenfestival herum trieb, als uns die Ehre zu erweisen, nahm mich die Magie dieser Musik sofort wieder gefangen. Wie schon 2001 beschrieben, spielen sie einen sehr an die frühen Clannad erinnernden Sound, ohne sie einfach nachzuahmen. Kerstins Stimme ist auch etwas schärfer als die von Moya Brennan, der berühmten Nichte der Duggan-Brüder, und diese klare Stimme verbunden mit dem recht harten Klang der Harfe, die beide rhythmisch und melodisch zugleich klangen, oft unterstützend ein mehrstimmiger Satzgesang der Duggans und Máires, der Klangteppich des Keyboards, dann die Geige und die Whistle entschädigten sofort für die Wartezeit. Zwischendurch gab es auch einige Soli, leider nicht von Colin, der an diesem Abend seinen ersten Gig in dieser Formation hatte und extra von Mönchengladbach, wo der Engländer wohnt, nach Berlin geflogen war, um sich für drei Tage der Tour anzuschließen. Ein solches hoffe ich doch irgendwann mal hören zu dürfen, denn der junge Mann spielte genau so erstklassig wie die anderen.

Für Gitarristen dürfte es interessant gewesen sein, Kerstins Gitarrenspiel zu beobachten, das sie bei einem norwegischen Trollsang, welcher besseres Wetter herbei rufen sollte, einsetzte: Sie tippte zuerst die Saiten mit den Fingernagelspitzen an, strich dann einen harten Akkord mit den Fingernägeln, dann einen weichen mit den Fingerkuppen. Der Till Niner Bernd meinte, das machten Rockmusiker manchmal mit E-Gitarren, aber Kerstin hatte eine elektroakkustische, und ihr ruhiges, aus sehr langen Vokalen bestehendes Lied wurde dadurch rhythmisch und um noch eine Spur sphärischer, als es eh schon war. Die meisten Lieder wurden natürlich nicht auf Norwegisch, sondern auf Gälisch gesungen, wenige auf Englisch. Dass die Duggans Gälisch können, ist ja allgemein bekannt, und auch bei Máire Breathnach wundert es nicht, aber auch Kerstin Gälisch hörte sich für meine Ohren authentisch an. Das Besondere am Norland Wind- und frühen Clannad-Sound ist meines Erachtens, dass sich selbst die ruhigen und eher langsamen Stücke sehr rhythmisch und vielschichtig anhören. In dieser Art ist auch eines der Stücke aus Thomas Loefkes Feder, zugleich eines meiner Lieblingsstücke überhaupt. Es wurde von Thomas mit der Geschichte angekündigt, dass am 2. Weihnachtsfeiertag in Dublin viele Leute mit Geigenkoffern unterwegs seien, die Träger eines geheimen keltischen Wissens seien, nämlich, welche Kneipen an diesem Tag offen hätten und dass man diesen Geigenkofferträgern in Dublin dann ruhig folgen sollte, was in Palermo nicht anzuraten sei. Das Publikum lachte, so dass wohl auch viele zum ersten Mal Norland Wind hörten und den Witz noch nicht kannten. Natürlich kam nach dieser Ankündigung kein Pubsong, sondern ein filigran-rhythmisches Harfenstück namens „Stephen’s Day Session“.

So ging das Konzert dann bis ca. 23.30Uhr ohne Pause, und irgendwie wollten die Leute das nicht so richtig begreifen, und es war wohl eher der Gedanke, dass der Freitag ein Arbeitstag sei, der sie dann aufbrechen ließ, und bestimmt ging ihnen am Freitag die Arbeit viel besser von der Hand als sonst.

Pádraig Duggan konnte mir übrigens während der Wartezeit am Anfang eine Frage beantworten, die ich schon mit vielen Musikern und Irish Folks-Fans diskutiert hatte, ohne eine befriedigende Antwort zu erhalten: Wie wird „Clannad“ ausgesprochen, „Clännäd“, wie die meisten meinten, oder „Clannâd“, wie Ted Furey es 1974 beim 2. Irish Folk Festival in Deutschland ankündigte und dem ich immer geglaubt hatte? Weder noch, sondern schlicht und einfach „Clannad“, also schnell und kurz, auf dem ersten a betont, aber nicht mit ä. Pádraig meinte, Ted Furey habe es warum auch immer falsch ausgesprochen damals vor 32 Jahren. Die Duggans gaben mir dann auch noch ihre neue CD „Rubicon“ zur Besprechung mit. Die folgt dann also auch noch demnächst.

Wer die angenehme Mischung aus gemütlichem Restaurant mit guter Wein- und Bierauswahl und irischer Musik demnächst noch mal erleben will, kann das am 16.12., denn dann werden Whisht! dort spielen, und am 22.12., wenn Nadia Birkenstock mit ihrer Harfe da sein wird.


http://www.thomasloefke.de/
http://www.concertidee.de/norlandwind/
http://www.kerstinblodig.de/
http://www.clannad.ie/
http://www.mairebreatnach.com/
http://www.bungertshof.de

Nachtrag:

Margret Hüffer beantwortete die im folkigen Rundbrief rund geschickte Rezension:
"Hallo Michael,
wenn es sich bei Norland Wind um Colin aus MG handelt, ist es Colin Goldie, der die Overton- Whistles in Lizenz baut und selbst ein ganz exzellenter Whistlespieler ist. Schade, hätte ich gewußt, daß er dabei ist, hätte ich es mir glatt noch überlegt...Colin hat übrigens eine ganze Reihe von Whistlern hier ([Namen lasse ich hier raus; MAS] mich selbst etc) mit seinen Whistles versorgt.
Nun weißt Du was Neues, schönes Wochenende
Margret"

Ja, nun weiß ich was Neues. Derartige Rückmeldungen auf Grund sorgfältig gelesener Rundbriefe sind mir immer willkommen.

Und hier deshalb gleich der Link auf Colin Goldies Seite:
http://www.overton.de/texte/csghomedeu.html

MAS